BGH: zur Haftung des Host-Providers für Blog-Einträge

Mit Urteil vom 25.10.2011 (Az.: VI ZR 93/10) bringt der BGH (hoffentlich) Ruhe in die Debatte über die Haftung von Webportalen und Host-Providern für rechtsverletzende Inhalte ihrer Nutzer. Dabei stellt das Gericht ein für alle Beteiligten klar strukturiertes Regelwerk zum Verfahren bei gerügten Äußerungen auf.

Aus den Gründen: Der BGH hatte sich im Wesentlichen mit dem Sachverhalt zu befassen, dass sich der im Immobiliengeschäft tätige Kläger durch anonym verfasste Äußerungen eines Blognutzers in seinen unternehmensbezogenen Persönlichkeitsrechten verletzt sah und daher den in den USA (Kalifornien) ansässigen Blogbetreiber auf Unterlassung derartiger Äußerungen und deren Beseitigung in Anspruch nahm.

Neben vorliegend nicht weiter interessierenden Vorfragen zur Anwendbarkeit deutschen Rechts und der Zuständigkeit deutscher Gerichte musste sich der BGH maßgeblich mit der Frage auseinandersetzen, wann ein Host-Provider für rechtsverletzende Handlungen durch Nutzer seiner Plattform selbst in Haftung genommen werden kann.

Das Gericht lehnte eine Verantwortlichkeit des Diensteanbieters dabei zwar nicht generell nach § 10 S.1 TMG ab, da  sich diese Haftungsbeschränkung – wie mittlerweile allgemein anerkannt – zumindest nicht auf Unterlassungsansprüche erstrecke.
Der BGH verneinte eine Haftung jedoch auch nach den allgemeinen Grundsätzen der Täter- und Störerhaftung, wobei deren Voraussetzungen sauber herausgearbeitet und der Sachverhalt unter diese ebenso genau subsumiert wurde.

Zunächst wurde das Vorliegen einer Haftung als Täter oder Teilnehmer einer rechtswidrigen Tat verneint, da sich der Provider nach dem Aufbau und der Gestaltung der Plattform die Inhalte seiner Nutzer erkennbar nicht „zu Eigen“ mache.

Eine Störerhaftung könne wiederum (zusammengefasst) nur angenommen werden, wenn ein Dritter – hier der Provider – in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal die Rechtsgutsverletzung (mit)ermögliche und dabei zumutbare Prüfungspflichten verletze.
Diese Pflicht, so der BGH, sei jedenfalls nicht dadurch verletzt, dass der Provider nicht sämtliche Blogbeiträge vor deren Veröffentlichung überprüfe, sondern frühestens dann, wenn er von einer konkreten Rechtsverletzung in Kenntnis gesetzt würde und daraufhin untätig bliebe.

Da sich eine Rechtsverletzung jedoch selten ohne ad hoc durch den Provider feststellen ließe, müsse auf Basis einer Abwägung der kollidierenden Rechtsgüter (hier: Persönlichkeitesrechte vs. Medien- bzw. Meinungsfreiheit) eine Ermittlung und Bewertung des gesamten Sachverhaltes unter Berücksichtigung einer etwaigen Stellungnahme des für den Blog Verantwortlichen erfolgen.

Die Einleitung dieses Verfahrens sei jedoch seitens des Providers erst dann veranlasst, wenn der Hinweis des Betroffenen auf die Rechtsverletzung so konkret gefasst sei, dass der Rechtsverstoß auf der Grundlage dieser Behauptungen unschwer bejaht werden könne. Ist dies der Fall, so müsse der Provider…

(1.) die Beanstandung an den inhaltlich Verantwortlichen zur Stellungnahme weiterleiten.

(2.) bei Ausbleiben einer fristgemäßen Stellungnahme den Beitrag sofort löschen, da dann von der Berechtigung der Beanstandung ausgegangen werden könne.

(3.) im Falle des substantiierten Bestreitens durch den Verantwortlichen den Betroffenen darüber in Kenntnis setzen und ggfs. weitere Nachweise über die Berechtigung der Beanstandung verlangen

(4.) bei Vorlage weiterführender Informationen (insb. Nachweise) seitens des Betroffen den Beitrag löschen, sofern sich die Wahrscheinlichkeit der behaupteten Rechtsverletzung dadurch bekräftigt. Andernfalls könne die Prüfung ggfs. endgültig eingestellt werden.

Letztlich hänge das Ausmaß des vom Provider zu verlangenden Prüfungsaufwandes von den Umständen des Einzelfalls ab, insbes. vom Gewicht der dargelegten Rechtsverletzungen auf der einen und den Erkenntnismöglichkeiten des Providers auf der anderen Seite.

Im zu entscheidenden Fall jedenfalls konnte eine Missachtung dieser Prüfpflichten mangels ausreichender Mitwirkung des Betroffenen nicht bejaht werden.

Anmerkung: Die Entscheidung des BGH dürfte nicht nur zum verlässlichen Leitbild für die nachfolgende Rechtsprechung werden und insofern in vielen Fällen streitvermeidend wirken. Sie liefert vor allem den Providern ein handfestes und praktikables Verfahren zum Umgang mit Beschwerden, wobei jederzeit erkennbar sein sollte, auf welcher Verfahrensstufe man sich aktuell befindet und welche wechselseitigen Mitwirkungspflichten bestehen.

Dennoch dürften einige Fragen offen bleiben. Zu diesen gehört zum Beispiel die Frage nach einer Pflicht zur Enttarnung der hauptsächlich Verantwortlichen. Ebenso die Frage nach dem Umfang der von den Beteiligten vorzubringenden Darlegungen und Beweise, sowie die Anwendung dieses uU zeitaufwendigen Verfahrens in besonders eilbedürftigen Fällen gravierender Rechtsverletzungen. Hier wird es Aufgabe der höheren Instanzen sein, die Vorgaben des BGH zu konkretisieren und inhaltlich auszufüllen.

Schließlich wäre interessant zu erfahren, inwieweit sich die hier zum Persönlichkeitsrecht entwickelten Grundsätze auf artverwandte Rechtsgebiete des Immaterialgüterrechts übertragen lassen werden.